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2013


Stolzenau: Ein gefundenes Fressen (Die Harke vom 20.08.2013)

Graugänse fressen den Acker kahl / Großer Schaden für Landwirte / „Kiesseen ideale Brutstätten”

Zwei, drei Stunden, dann ist alles weg. Ein viertel Hektar kahlgefressen. „Da sind schnell mal 1000 Euro weg”, stöhnt Ludwig Graf von Hardenberg. Der Stolzenauer Landwirt hat die Nase voll von Wildgänsen. Besonders von Graugänse. Immer mehr Graugänse leben an der Weser. Zum Leid der Landwirte. Denn die Gänse holen sich ihr Fressen vom Acker. Und die Landwirte haben den Schaden.

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„Auf 10 000 bis 20 000 Euro im Jahr summiert sich der Verlust pro Betrieb,” weiß von Hardenberg. „Die Landwirte müssten entschädigt werden”, fordert er. Schuld am hohen Graugänseaufkommen sind die Kiesseen, macht von Hardenberg deutlich. „Das sind ideale Brutstätten.” Henrich Meyer zu Vilsendorf. Leiter der Bezirksstelle Nienburg der Landwirtschaftskammer Niedersachsen: „Früher waren Graugänse Rastvögel, die auf dem Weg in die Tundra sich an der Weser nur kurz aufhielten. Heute sind sie das ganze Jahr über hier, verstärkt durch den Sandabbau.

Auf den Inseln der Kiesseen können sie ungestört brüten.” Er ist mit von Hardenbergs auf den Acker gegangen, hat sich die Schäden angesehen. Seit zwei, drei Jahren sei es extrem geworden, sagt von Hardenberg. Er machte auf einer Insel Brutstätten mit „Unmengen“ frischgelegter Eier ausfindig. Und das ist nur eine von etlichen Inseln der Kiesteiche an der Weser. Sage und schreibe 300 Hektar Wasserfläche haben die Kiesseen schon. „Rings um die Kiesseen sind die Ackerflächen eigentlich nicht mehr nutzbar”, sagt er.

Allein am Kiesteich vor seinem Acker leben rund 200 bis 300 Graugänse. Von Hardenberg ist besonders gekniffen, schließlich hat er Ackerflächen gleich an drei Kiesseen gepachtet. 3500 Graugänse wurden als Zugvogel kartiert, erklärt Meyer zu Vilsendorf. „Keine hat geahnt, dass so viele hier bleiben.” Von Hardenberg: „Früher haben die hier nur eine Nacht gepennt.” Jetzt spricht er von einer „unheimlichen Populationsrate”. Da müsse weitergedacht werden. Ende Mai kam von Hardenberg wieder die Galle hoch. Rund 2500 Quadratmeter seines Rübenackers zwischen Leese und Stolzenau waren von Graugänsen kahlgefressen.

„Die suchen das Süße in den Rüben. Ich kann gar nicht hingucken, dann kriege ich schlechte Laune”, sagte er. Rüben im Wert von 2000 bis 3000 Euro ratzfatz weggefressen. Bei dem aufgeweichten Boden nach dem Dauerregen hatten sie leichtes Spiel, die jungen Rüben rauszurupfen. Daneben das Weizenfeld: ein Bild des Jammers, ein großer Teil der Getreidehalme hat keine Ähren mehr. 300 Hektar Zuckerrüben, Raps und Getreide baut von Hardenberg jedes Jahr an. „Die Schäden am Getreide sind am Schlimmsten”, sagt er. „Sommergerste ist ein gefundenes Fressen für die Graugänse”, fügt er hinzu.

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Er hat es bereits erlebt: „Der Acker sah aus wie ein englischer Rasen.” Am Rande des Ackers knallt es alle paar Minuten lautstark. „Vogelscheuchen bringen nichts mehr”, sagt er. Er versucht nun, mit einer Gaskanone die Graugänse zu verscheuchen. Der Lärm bringt aber nur mäßigen Erfolg. Landwirte bekommen eine Entschädigung aus einem Fonds, in den Kiesabbaufirmen eingezahlt haben, wenn sie Graugänse von November bis März auf ihren Flächen dulden. Große Summe kommen bei den heutigen niedrigen Zinsen allerdings nicht heraus.

Lediglich 500 Euro hat von Hardenberg 2012 als Entschädigung bekommen. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Man könne die Landwirte nicht im Regen stehen lassen, sagt Meyer zu Vilsendorf. „Aber eine Lösung habe ich auch nicht”, gibt er zu. Kreis-Umweltdezernent Thomas Schwarz ist das Problem bekannt. „Die gehen an alles, was lecker schmeckt”, bringt er das Gänseproblem auf den Punkt. „Die Gänse suchen Nahrung, es ist schon eine Verdrängung erkennbar.

Der Druck auf die restlichen Flächen nimmt zu”, sagt er. Hoffnung auf eine höhere Entschädigung macht er nicht: „Die finanziellen Mittel sind begrenzt, und die Verzinsung aus dem Fonds ist relativ mau.” Von Hardenberg weiß natürlich: „Den Gänsen kann man es nicht verübeln. Sie müssen was zu fressen haben. Aber nicht nur auf Kosten der Landwirte.” Von Hardenberg will jetzt mehr Mais und Kartoffeln anpflanzen. „Da gehen die nicht ran.”

H20130820-Gans3Nachgefragt bei Jens Rösler: „Kein Anspruch auf Entschädigung“

Graugänse fressen die Acker kahl. Wie kann aus Sicht des Naturschutzbundes NABU das Problem gelöst werden?

Auch Graugänse sind Zugvögel und als diese durch internationale Konventionen geschützt. Die im Winterhalbjahr in Niedersachsen rastenden Graugänse sind nach Ergebnissen von langjährigen Markierungsprojekten überwiegend skandinavische, polnische, dänische oder baltische Vögel. Sie verbringen. hier den Winter (oder ziehen nur durch) und suchen zum Teil erst spät ihre Brutgebiete auf. Nordnorwegische Vögel beginnen erst Anfang Juni mit der Brut und müssen oftmals bis Mitte Mai bei uns Station machen, da die Brutgebiete erst spät schneefrei werden.

Die Winterrastgebiete der mitteleuropäischen Vögel (das heißt auch der niedersächsischen Population) befinden sich dagegen in Frankreich, Spanien und zum Teil in Nordafrika. Insofern reden wir also im Winterhalbjahr von vollständig unterschiedlichen Vögeln als im Sommer. Wenn wir über die brütenden Graugänse sprechen, sei darauf hingewiesen, dass die Graugans im späten Mittelalter in Niedersachsen ausgerottet wurde und erst in den 1980er Jahren durch die Landesjägerschaft und das Landwirtschaftsministerium durch ein umfangreiches Projekt wieder heimisch wurde.

Das war ein richtiges und gutes Projekt, an dem viele gänsebegeisterte Jäger und auch Landwirte sich engagiert haben. Die Graugans ist wichtiger Bestandteil der norddeutschen Feuchtgebiete, und daher freuen wir uns auch, dass das Projekt so erfolgreich war. Es ist sogar meines Erachtens eines der ganz wenigen erfolgreichen Wiederansiedlungsprojekte in Niedersachsen, das stabile Populationen mit wahrscheinlich halbwegs natürlichem Zugverhalten. aufweist.

Können Sie bestätigen, dass es zum Kahlfressen durch Graugänse kommt?

Unbestritten können wir vom NABU Nienburg feststellen, dass die Graugans ihr ursprüngliches Brutgebiet auch bei uns wieder besiedelt hat. Dies gilt für die Weseraue mit einem Schwerpunkt bei Stolzenau. Im Nordkreis ist das augenscheinlich so nicht der Fall. Die vielen Kiesseen bieten den Gänsen allerdings auch herausragende Möglichkeiten.

Die Gründe von „Fraßschäden“ sind aber nicht bei den Gänsen zu suchen. Die Nahrungsflächen für Gänse werden immer weniger. Der fortschreitende Kiesabbau und der Anbau von Energiepflanzen für Biogasanlagen nimmt den Gänsen immer mehr Raum, so dass diese sich auf den verbleibenden Flächen konzentrieren, um überhaupt überleben zu können. Klar ist auch, dass landwirtschaftliche Flächen in direkter Nähe von Gewässern gefährdet sind. Jeder Kiessee schafft somit neue Konfliktmöglichkeiten.

Dennoch können wir nicht bestätigen, dass es zum Kahlfressen ganzer Schläge durch Graugänse kommt. Sehr wohl aber beobachten auch wir, dass die Graugans vermehrt zur Nahrungssuche auch ins Sommergetreide ausweicht und dort dann lokal auch vereinzelt Schäden entstehen können. Das bleibt auch nicht aus, wenn immer mehr Grünland verschwindet und Mais oder Kiesabbau weichen muss.

Können Sie sich eine Entschädigung für Landwirte vorstellen?

Man muss bezüglich der proklamierten Schäden eines deutlich sagen: Es gibt in Deutschland keinen Anspruch auf Entschädigung für Schäden durch Vögel. In Zeiten knapper Kassen muss dem Steuerzahler schon erklärt werden, warum er eventuell abweichend freiwillig an betroffene Landwirte zahlen soll. Da wäre doch zumindest zu fordern, dass die Schäden zunächst zweifelsfrei belegt werden und der Landwirt durch seine Fruchtwahl, Anbauweise und die Wahl der Parzelle potentielle Schäden weitestgehend selbst reduziert.

Wer sein gewässernahes Grünland in Ackerland umwandelt, sollte nicht auch dafür noch zusätzlich auf diesem Weg entlohnt werden. Aber über welche Summen reden wir hier? Laut Entschädigungssätze der Landwirtschaftskammer wage ich zu bezweifeln, dass der Schaden existenzbedrohlich ist. Sicher ist auch hier zu unterscheiden, ob es sich um eine Pachtfläche handelt, oder um einen betroffenen Landwirt der zuvor einen Teil seiner Flächen an die Kiesindustrie verkauft hat. Denn nur wo so genannte Komfortgewässer in der Nähe sind, kommen auch Gänse vor.

Sollten Graugänse bejagt werden?

Fakt ist auch, eine intensive Bejagung führt offenbar nicht zum Ziel. Es ist ja sogar den Jägern den ganzen Herbst möglich, diese Gänse zu bejagen. Insofern hat der Initiator der Auswilderung und damit „Verursacher“ des „Graugansproblems“ alle Möglichkeiten selbst in der Hand, die Schäden zu verringern. Als Naturschützer und Vogelexperte halte ich verstärkte Jagd allerdings für eher kontraproduktiv. Je mehr „gescheucht“ wird, desto mehr müssen die Gänse ihren Energiebedarf decken. Die Gänsejagd im Winter trifft ohnehin die falschen, nämlich nordeuropäischen Vögel!

... bei Jens Rösler, Vorsitzender des NABU-Kreisverbandes Nienburg